TBQ – Software auf Pakistan

„Das ist keine ‚normale’ Schnittverletzung.“
„Das sehe ich auch, der Mann ist schließlich tot!“
„Ja, aber nicht getötet durch ein gewöhnliches Messer. Es gibt einen gebogenen Schnittkanal. Krummdolche etwa machen solche Wunden. Ein indischer Dolch vielleicht, aber das wird die Obduktion schon noch klären.“
Hauptkommissar Schaper sah sich daraufhin den Tatort noch einmal genauer an. Seine Faszination für ungewöhnliche Todesursachen hielt sich in engen Grenzen, heute an seinem letzten Dienststag. Nach vierzig Jahren Kriminalistik hatte er diesen Tag gefürchtet. Jetzt wo er unausweichlich gekommen war, wollte er ihn hinter sich bringen. Das Buffet wartete sicherlich schon. Auf seine Tochter würde er sich verlassen können, wenn sie also zugesagt hatte, für etwas Essbares zu sorgen …
Da lag der Mann, inzwischen zur Seite gedreht, damit man den Einstichkanal im Rücken genauer inspizieren konnte, in seiner eigenen Blutlache, was zwar zunächst offensichtlich schien, aber noch genauer kriminalistisch zu untersuchen sein würde. Der Mann war etwa 35 Jahre alt, und tot.
Wenn sein Gesprächspartner, mit dem ihn nicht nur viele Jahre der Zusammenarbeit verbanden, recht hatte, und die Mordwaffe wirklich aus Indien stammte, dann war das verwirrend, denn der Mann sah nicht aus, als ob er in rivalisierende Religionsstreitigkeiten des Hinduismus verwickelt worden wäre. Blond, blauäugig und großgewachsen hätte Schaper mit über 40 Jahren dienstlich bedingt geschulter Menschenkenntnis den Toten eher in die norddeutsche Heidelandschaft verortet, als irgendwo mit indischen Rivalitäten in Verbindung gebracht. Ein Messer zum Spargelstechen, das hätte mehr in diese norddeutsche Landschaft gepasst als ein Krummdolch, den sich Schaper zudem als überaus unpraktisch vorstellte.
Sein Gesprächspartner, der Gerichtsmediziner Dr. Beuchelt, knapp zwei Jahre jünger als Schaper, und deshalb noch in emsiger Vorbereitung auf seinen eigenen Ruhestand packte seine Utensilien zusammen und wollte sich gerade verabschieden, als ihm ein winziges Detail an der Einstichstelle aufzufallen schien. Er winkte den Fotografen zurück, der schon den gesamten Tatort aus vielen Blickwinkeln abfotografiert hatte.
„Schießen Sie mir den Einstich noch einmal als Nahaufnahme. Und dokumentieren Sie bitte die Größenverhältnisse. Sie haben Sie auch ein Foto von dem Kaugummistreifen, den er in der Hand hält? “ Er deutete auf das blaue Etwas in der Hand des Toten, das, was Größe und Form anbelangte, in der Tat Ähnlichkeiten mit einem Streifen Kaugummi aufwies.
Der Gesprächspartner seinem Gegenüber an, dass er mit seinen Gedanken woanders war, und sich bei weitem nicht so recht auf den Fall einlassen wollte, wie er es von ihm gewohnt war. Wer wollte es ihm verdenken.
„Sicher doch. Ist ja nicht mein erster Arbeitstag hier.“
„Aber mein letzter. Sollte jetzt eigentlich ein kleines Buffet geben, in der Dienststelle. Jetzt, wo Sie hier sind, Sie kommen doch anschließend mit rüber ins 7. Revier?“ Schaper war inzwischen herangetreten.
Er wartete die Antwort seines Gegenübers nicht ab, sondern wandte sich sogleich an Konrad Beuchelt, mit dem ihn neben langen Dienstjahren, unzähligen Fällen auch der frühe Verlust der Frauen verband.
„Du hast eine Probe von dem Blut an dem seltsamen Kaugummi?“ „Natürlich, ich muss ja wissen, ob es das Blut des Toten ist, oder ob es eine Nachricht von jemand ganz anderem ist.“ Die Antwort schien Hauptkommissar Schaper zu befriedigen.
* * *
„Noch immer im Dienst, Pa? Du kannst es wohl nicht lassen!“ Hauptkommissar Schaper hatte kaum den Raum betreten, als er von einer jungen Dame empfangen wurde. Beate Schaper, die Tochter des Hauptkommissars war gekommen, um das Buffet auszurichten, für den Abschied ihres Vaters. Schaper war es sichtlich unangenehm mit familiärem Titel im dienstlichen Umfeld angeredet zu werden. So dankbar er war, dass seine Tochter sich nach dem Tod seiner Frau die Zeit nahm, um solche sozialen Verpflichtungen wie die heutige zu organisieren so sehr missfiel ihm die Vermischung von Dienst mit Privatem.
Er sah eilig in die Runde, stellte fest, dass alle bereits versammelt waren und warteten. Also eröffnete er hastig das Buffet.
„Lasst Euch das schmecken, was meine Tochter für Euch mitgebracht hat. Sie ist ein kluger Kopf, kann aber noch besser kochen. Sie hätte auch durchaus eine Chance als Hausfrau gehabt, wenn sie nicht studiert, sondern geheiratet hätte, so wie ihre Mutter. Ach ja, passt ein wenig auf mit den Messern, wir hatten schon einen Toten heute. So, und nun guten Appetit.“
Schaper war kein Mann der großen Worte. Sein Beruf hatte ihn glücklicher Weise nicht oft in die immer wieder peinlich endende Situation gebracht, öffentlich reden zu müssen. Zwei mal hatte er ein Interview geben müssen und wäre vor Scham fast im Erdboden versunken. Zweimal hatte das Ergebnis solcher Auftritte dafür gesorgt, dass man höheren Orts eine möglich Beförderung auf eine exponierte Position bereits im Ansatz verworfen hatte.
Beate Schaper stand mit hochrotem Kopf in der Menge und schaffte es nicht ihren Mund wieder zu schließen. ‚Immer, immer, immer macht er das. Er hat es schon bei meiner Mutter so gemacht, und jetzt macht er es bei mir.’ Schoss es ihr durch den Kopf. Sie hasste diese Momente, in denen sie versuchte, ihm einen Gefallen zu tun, und statt ein bisschen Dank dafür zu ernten, dann im öffentlichen Bannstrahl seines diametral unterschiedlichen Lebensentwurf zu stehen.
Es hatte ihm nicht gefallen, dass sie studierte. Eine Frau gehörte für ihn hinter den Herd. Eine Vorstellung die sie geradezu grausam fand. Vor dem Herd zu stehen fand sie ja schon nicht als allein sinngebend, aber hinter dem Herd, wer wollte da schon stehen wollen.
Dass sie dann Informatik studiert hatte, war ein weiter Stein des Anstoßes. Das war etwas für Jungen. Für sie als seine Tochter hätte er bei einer Wahl wie Veterinärmedizin oder Grundschulpädagogik mehr Billigung entgegengebracht, aber mit Computern arbeiten zu wollen, da fand der nun so wenig Weibliches dran, dass er nicht müde wurde, das zu betonen.
Die Krönung war aber gewesen, dass sie nach Ausbildung und Studium auch diesen Beruf ergreifen wollte. Er war wohl sehr davon ausgegangen, dass mit ihrem Examen endlich Mutterschaft und Familie Einzug halten würden. All ihre Tätigkeit und die kleinen Erfolge in ihrer noch jungen Karriere sah er als reine Zeitverschwendung an, mit dem Ergebnis, dass es bald schon kaum noch Punkte gab, über die es sich lohnte zu sprechen. Als sich dann die Gelegenheit gab, eine Stelle in einer anderen Stadt anzunehmen, sagte sei zu, ohne zu zögern.
Es waren Anlässe wie diese, an denen sie sich, ein stückweit auch um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, Urlaub nahm, um ihrem Vater unter die Arme zu greifen und ihm eine gute Tochter zu sein. Und es waren Momente wie dieser, in denen sich nur noch die große Sinnfrage eines solchen Tuns in ihrem Kopf bewegte.
„Schmeckt echt gut. Für jemanden, der so wenig Erfahrung in der Küche hat wie Du. Wirklich sehr lecker.“ Ihr Vater stand kauend vor ihr, einen Garnelenschwanz abbeißend.
„Wirklich nicht schlecht, was Deine Tochter da zusammengebrutzelt hat. Meine Hochachtung, Frau Schaper. Das kann es durchaus mit den Kochkünsten Ihrer Mutter aufnehmen.“ Sie kannte Dr. Beuchelt von früheren Einladungen. Obwohl er als Mediziner nicht nur Akademiker war, sondern darüber hinaus sogar promovierter Akademiker, hatte ihr Vater auf wundersame Weise seine Abneigung überwunden und sich schon vor Jahren mit ihm angefreundet. Das lag zum einen daran, dass der Mediziner äußerst jovial war, zum Teil aber auch daran, dass Mediziner in den Augen ihres Vaters so etwas wie eine Notwendigkeit darstellten, die nun mal zwangsweise mit dem Makel behaftet waren, von der Uni zu kommen.
Früher waren er und ihre Mutter gern gesehene Gäste in seinem Haus gewesen, so wie auch ihre Eltern oft Gastgeber für gemeinsame Abende gewesen waren. Heute verband sie das gemeinsame Schicksal, innerhalb desselben Jahres die Frau verloren zu haben. Ihre Mutter war bei einem Autounfall um Leben gekommen, dessen Verursacher ihr Vater nie ermitteln konnte, seine Frau starb nach kurzer schwerer Krankheit, die er als Mediziner nicht rechtzeitig kommen sah.
Hauptkommissar Schaper wandte sich abrupt um und steuerte ohne seinen Gesprächspartnern einen erklärenden Satz anzubieten auf ein neues Ziel zu. Oberkommissar Wrede, derjenige, der sein designierter Nachfolger war.
„Ich muss mit Ihnen noch über den Säbelmord von heute morgen reden!“
Beate stand da und schnappte nach Luft. Sie sah Dr. Beuchelt mit großen Augen an.
„Säbelmord? Er kann es nicht lassen? An seinem letzten Tag.“
„Nein, wir waren vorhin zu einem – sagen wir ungewöhnlichen Fall gerufen worden. Ein Toter, etwa Ihr Alter. Medizinisch interessant, wegen eines gebogenen Stichkanals, deswegen meine Vermutung, es könnte ein Säbel gewesen sein.“
„Toll, da plant man seinen Abschied, und er jagt weiter Mörder.“
„So sind wir halt. Oder vielleicht sind wir alle auch nur so geworden, nach all den Jahren. Aber wo ich gerade mit Ihnen spreche, Sie sind doch Computerexpertin, kennen Sie so etwas? Das scheint doch etwas mit Computern zu tun zu haben. Ist aber wohl eher Ihre Generation als meine, denke ich.“
Er hielt Ihr einen kleinen Plastikbeutel entgegen, in dem ein blaues Etwas steckte, das entfernt an einen Kaugummistreifen erinnerte.
Beate musste gar nicht länger hinsehen. Sie kannte diese etwa fünf Zentimeter langen und gut einen Zentimeter breiten Gebilde gut. Mit einer Dicke von nur wenigen Millimetern erinnerten sie wirklich entfernt an diese Art Kaugummi, mit der eine amerikanische Firma seit Jahren den Markt beherrschte.
„MemoryStick.“ Antwortete sie deshalb ohne zu zögern. Und fügte, als Sie an Dr. Beuchelts Gesicht erkannte, dass er ihr nicht folgen konnte, erklärend hinzu.
„Das ist ein sogenannter FlashMemory-Speicher. Ein Speicherbaustein, der auch ohne Batterien und außerhalb eines Computers, oder sonstigen elektronischen Geräts seinen Inhalt über lange Zeit speichern kann.“
Sie nahm den Plastikbeutel in die Hand.
„Dieser hier hat 128 Megabyte, da passen wohl so etwa 50 bis 100 Fotos drauf, je nach Auflösung.“
„Fotos“, fragte Dr. Beuchelt.
„Ja oder Musik, Texte, oder was sonst so darauf gespeichert ist. Dieser Speicherbaustein ist im Grunde nichts anderes, als eine kleine Festplatte, auf der man alles speichern kann.“
„Kleine Festplatte, wie klein?“ bohrte Dr. Beuchelt nach.
„Nun, klein von den äußeren Abmessungen zumindest. Ansonsten passen wie gesagt, auf dieses Exemplar 128 Megabyte. Das reicht für etwa 20 Mal die komplette Bibel, oder 10 Sekunden sendefähiges Video. Oder aber 2-3 CDs voll Musik, wenn man sie entsprechend komprimiert. Ja nach dem.“
„Musik, Video, Bibel?“ Dr. Beuchelt war sichtlich irritiert.
„Dieser kleine Speicher wird in Videokameras, Walkmen und Computern eingesetzt. Was genau darauf gespeichert ist, hängt vom Anwendungsfall ab. Er wird sogar dazu benutzt, um einen kleinen hässlichen Roboterhund zu steuern. – Ein japanische Produkt halt, und bei denen ist so ein technisches Spielzeug sehr beliebt. Ach, no etwas, es ist übrigens überwiegend diese eine Firma, die diesen MemoryStick einsetzt. Der Name steht oben links. Wieso fragen Sie überhaupt?“
„Sie wissen doch, ich hätte Ihnen das Ding eigentlich gar nicht zeigen dürfen, aber sagen Sie ehrlich, wen hier hätte ich sonst fragen sollen. Ihr Vater hat das in der Hand des Toten gefunden, und hält es im Übrigen für einen Kaugummi.“

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