Wie werden wir uns erinnern?

Ich habe mich neulich – auf einer Beilagen-CD war eine ACDSee-Vollversion enthalten, doch dazu an anderer Stelle mehr – mit meinen alten Fotos beschäftigt. Da kann man ja Stunden um Stunden mit verbringen, vor den alten Schuhkartons…
Bei mir fing es erst einmal damit an, dass ich viele, viele Papierbilder einscannen musste. Da entwickelt man zwar nach einiger Zeit Routine, aber wäre das Wetter im Moment nicht so Grotten-scheußlich, ich hätte längst aufgegeben. Aber auch das entwickelt sich irgendwann zur Manie: Noch ein Bild, eins noch, – nein das muss auch unbedingt in den Computer.
Dann kam die große Stunde von ACDSee. Verschlagworten. Kategorien definieren und zuweisen. Wer das der Urlaub in XY oder der in YX? Wer ist denn noch mal der Typ mit dem grünen Sweat-Shirt? Peter? Peter, ja! Aber der Nachname. War das vor 12 oder vor 14 Jahren? – Ist das nicht furchtbar, wie vergesslich man schon jetzt ist?
Meine „alten“ Erinnerungen sind nun mal analog. Und, so muss ich heute hinzufügen, leider in mieser Qualität. Zuerst diese unsäglichen Disc-Filme, mit der wirklich fiesen Qualität. Dann APS, war ja mal der Renner. Aber schade, ich hätte vielleicht doch lieber eine Kleinbildkamera kaufen soll, damals…
Ja und seit einigen Jahren ist es dann digital, und meistens Video. Da ist die Aufnahmezeit im Dateiformat eingebrannt und man fragt sich zumindest nicht mehr, wann man den Typen im grünen Sweater abgelichtet hat. Wahrscheinlich nur noch warum?
Aber damit kommen wir zum eigentlichen Grund des Postings: Wie werden wir uns erinnern? Die Tage, die ich mich jetzt mit Papierbildern beschäftigt habe, haben eine ganz eigene Faszination auf mich ausgeübt. Sind Erinnerungen wirklich als Video präsenter? Oder ist es diese Konzentration auf den Moment, diese gefrorene Zeit, die das Bild viel stärker Erinnerungen wecken lässt. Später. In zehn Jahren, zwanzig Jahren oder noch später?
Womit werden wir, womit werde ich später lieber umgehen. Momentaufnahmen, die mir Raum für Assoziationen liefern, oder Clips, die Situationen lebensnäher einfangen, mit Ton und Dramaturgie? Hier liegt aber das Problem der Linearität verborgen. Erinnerungen kann ich später nur in dem Tempo, im sequenziellen Duktus hervorholen, Raum für eigene Erinnerungsstränge, Sprünge und wilde Assoziationen gibt e da nicht mehr. Ich habe mir bereits bei Aufnahme und Schnitt die spätere Erinnerungsstruktur definiert. Will ich das?
Dazu kommt noch eine Beobachtung, die ich gemacht habe: Ich war mal wieder beim „Neptun“-Laden in Steglitz. Dort wird gerade HDV beworben und Sony hat ein Zwei-Kamera–System dort aufgebaut, bei der man das Bild, das auf einem HDTV-LCD erschein zwischen einer DV und einer HDV umschalten kann. Klar ist die HDV besser! Aber ehrlich gesagt, das DV-Bild sah wirklich mies aus. So schlecht waren meine DV-Aufnahmen auch in absoluter Anfängerinnen-Zeit nie!!
Ich also meine Immer-Dabei-Sony rausgeholt und auf die beleuchtete Szene draufgehalten. Später am heimischen Fernseher sah das gar nicht mal so schlecht aus. Na klar, HDV ist Welten davon entfernt. Aber so matschig, wie mir das Sony vorgaukeln wollte, nun wirklich nicht.
Vorgaukeln wollte? Vielleicht liegt ja der Effekt auch daran, dass ich am traditionellen Fernseher begutachtet habe, und dort ein LCD war, der das Bild der DV-Kamera nicht wirklich gut skalieren konnte. Werden also meine Filme, in zehn, fünfzehn Jahren alle so aussehen? Matschig, bis zur Unkenntlichkeit verfremdet? Und, wenn ich heute HDV filmen würde – abgesehen davon, dass es noch keine Kamera gibt, die ich in meiner Handtasche unterbringen könnte, zumindest nicht, wenn ich noch andere wesentliche Dinge mitnehmen möchte – würde ich dann in absehbarer Zukunft nicht wieder gegen eine Wand laufen? Noch höhere Auflösung? Andere Frame-Rate? Verändertes Farbmodell? Oder besser noch: Rights Management!
Wenn sich nämlich das rechte Management der Inhalte weiter verbreitet und mit Druck der Interessenverbände zementiert wird, wer sagt mir, dass die Geräte der Zukunft meine eigenen Inhalte, die ja über keinen Rechteschutz verfügen, immer noch abgespielt werden? Muss ich dann eine eigene Content-ID-lizensieren, die mir meine eigenen Inhalte freigibt? Per Play? Pauschal? Muss ich bei einer Kommission erst einen antrag stellen und meinen Computer insoizieren lassen, damit der eigene Inhalt freigegeben wird? Wie viele Institutionen werden damit beschäftigt sein. Benötige ich die Freigaben der aufgenommenen Personen? Und was, wenn ich nicht mehr weiß, wie der Peter mit Nachnamen heißt??
Vielleicht mache ich mich ja mit meinen eigenen Clips gerade dadurch verdächtig, dass das Abspielrecht nicht von einem der großen Medienverlage freigeschaltet werden kann? Und dann, weigert sich mein Computer, die Daten an den Beamer zu senden! Oder beim Kopieren der Filme auf eine neue Festplatte stellt der Computer automatisch Strafanzeige bei der Internetwache, weil vermutet wird, ich hätte das Rechte Management ausgehebelt? Bilder hätte ich ja bei Zeiten ausdrucken können und in einem Schuhkarton verwalten…

Schreibe einen Kommentar